Veröffentlicht in Allgemein, Entwicklung, Grundlagen, Wahrnehmung

Immer in Balance bleiben

Liebe LeserInnen,

„mit beiden Füßen fest im Leben stehen“, „nicht aus dem Lot geraten“, „nicht den Boden unter den Füßen verlieren“, „das innere Gleichgewicht finden“, „nach Halt suchen oder den Halt verlieren“ …

Im nachfolgenden Beitrag wollen wir euch einen Einblick ins vestibuläre System geben, dieses ist auch als Gleichgewichtssystem in aller Munde. Somit schon nah an dem Ort wo sich alles abspielt.

Blick auf… die Entwicklung

Das vestibuläre System entwickelt sich fast gleichzeitig mit dem auditiven System im Innenohr am Anfang der Schwangerschaft. Bereits ab der 16. Schwangerschaftswoche überwacht das Gleichgewichtssystem den Austausch der Sinnessysteme mit dem Gehirn und reagiert besonders auf Lage und Positionswechsel. Während der Schwangerschaft stimuliert die Mutter das vestibuläre System des Fötus durch ihre eigene Körperbewegung. Im Mutterleib erlebt das heranwachsende Kind sich durch das Fruchtwasser als schwerelos. Nach der Geburt muss sich das vestibuläre System zunächst einmal auf die Schwerkraft und die fehlende Flüssigkeit einstellen. Der Säugling sucht und braucht sichere Positionen mit viel Körperkontakt um klare Informationen über Körperpositionen zu erhalten (diesen erhält er besonders intensiv beim Austritt durch den Geburtskanal). Je mehr Informationen der Körper von außen (z.B. durch Körperkontakt, Kontakt zu Boden…) bekommt, umso leichter fällt es ihm seine Aktivität zu koordinieren/ bzw. eine Bewegung zu erlernen und dadurch Gleichgewichtsreize zu erfahren. Diese werden mehr und mehr vom Gehirn eingeordnet und verarbeitet.

Blick auf… die vestibulären Rezeptoren

Das vestibuläre System sitzt im Innenohr, genauer gesagt im Schläfenbein. Da das Gleichgewichtsorgan große Ähnlichkeit mit einem Irrgarten hat, der aus untereinander verbundenen Kammern und Röhren besteht, wird er auch als Labryinth bezeichnet. In dieser knöchernen Struktur liegen zwei Arten von Rezeptoren für das Gleichgewichtssystem.

Der Rezeptor für Schwerkraft

Der erste Rezeptor befindet sich in den Vorhofsäckchen und reagiert auf die Schwerkraft sowie die lineare Beschleunigung wie hoch und runter und vor und zurück.

Der Rezeptor für Drehbeschleunigung

Wir besitzen 3 Bogengänge im Ohr, hierin sitzt der zweite Rezeptor. In den Bogengängen befindet sich eine Flüssigkeit, welche sich bei jeder Kopfbewegung verändert. Bei Beschleunigungs- und Drehbewegungen wird ein Reiz ans Gehirn gegeben.

Beide Rezeptoren teilen uns mit, ob und wie schnell wir uns bewegen und wo wir uns in Beziehung zur Schwerkraft im Raum befinden.

Richtungs- und Bewegungsänderungen haben einen starken Effekt auf unser Gehirn, weil dieses System einfach so empfindlich und feinfühlig ist. Allerdings werden diese von uns nur sehr selten bewusst wahrgenommen, außer wir drehen uns zum Beispiel lange im Kreis oder fahren längere Zeit auf einem Karussell. Ist man länger auf dem Wasser unterwegs kommt es häufig vor, dass man auch noch abends und vor allem beim Schließen der Augen die Bewegung noch spürt.

Blick auf… die Funktionsweise

Das vestibuläre System ist für das Einhalten der Körperposition, aber auch für eine koordinierte Bewegung verantwortlich. In enger Zusammenarbeit mit der propriozeptiven Wahrnehmung und den Augen hält das Gleichgewicht uns im Lot. Der Körperschwerpunkt wird ständig und unbewusst in der Mitte gehalten, bzw. gezielt in eine Richtung bewegt. Die Propriozeption meldet hierfür unaufhörlich die Gelenkstellung und die Muskelaktivität ans Gleichgewichtssystem. Nur mit diesen Informationen können wir uns aufrichten und die Muskelspannung der jeweiligen Körperposition (ökonomisch) anpassen (Stell- und Haltereaktionen). Die Augen informieren des Weiteren ständig über die Stellung des Kopfes im Raum. Die Position des Kopfes ist das wichtigste Parameter des Gleichgewichtes. Hier zeigt sich nun absolutes Teamwork, denn die Augen registrieren die Position des Kopfes im Raum, reagieren aber auch auf Aktivität indem sie sich meist reaktiv entgegen der Kopfstellung bewegen. Bewegen wir den Kopf z.B. nach unten, bewegen sich die Augen reaktiv nach oben. Die Gegenbewegung unterstützt das „in Balance bleiben“ und die Orientierung im Raum.

Zu erwähnen bleibt noch die Größe der Fläche, auf die sich unser Körper stützt. Diese Unterstützungsfläche hat einen großen Einfluss auf die Arbeit des vestibulären Systems. In Bauchlage hat unser Körper z.B. viel Bodenkontakt/ Auflagefläche und demzufolge wenig oder nur langsame Bewegungsmöglichkeiten (z.B. kriechen oder rollen). Das Gleichgewichtssystem ist hier nicht extrem gefragt, da die Unterstützungsfläche (der Bodenkontakt) enorm ist. Anders sieht es im Stand aus. Hier ist es gar nicht so einfach den Körperschwerpunkt im Lot zu halten. Das vestibuläre System steuert hier konkret die Muskeln an, die uns in einer aufrechten Position halten. Je weniger Bodenkontakt wir haben, umso mehr arbeitet unser vestibuläres System. Wollen wir uns hingegen fortbewegen, muss der Schwerpunkt ein wenig nach vorne verlagert werden. Nur so kommt es zu einem Schritt. Je weiter ich das Gewicht dann nach vorne verlagere, umso mehr Beschleunigung entsteht und umso schneller werden die Bewegungen/ die Muskelreaktionen. Gleichgewicht ist also ein Spiel zwischen Gewichtsverlagerung und Haltereaktionen.

Blick auf… das eigene Gleichgewichtserleben

Selbsterfahrung:

1. Stelle dich auf ein Bein zunächst mit offenen und dann mit geschlossenen Augen. 2. Bewege deinen Kopf mit geschlossenen Augen nach oben und unten und beobachte was deine Augen tun 3. Nimm ganz bewusst die Gewichtsverlagerung VOR dem ersten Schritt wahr. 4. Drehe dich um die eigene Achse so schnell du kannst, bleibe stehen und schließe die Augen. ?????? Was passiert? ??????

Blick auf…Gleichgewichtsstörungen

  • Überdreht sein
  • schnelle und unkoordinierte Bewegungen (fällt in jeden Schritt hinein)
  • Breiter Gang, Robotergang, torkeliger Gang
  • Unsicherheiten im Alltag- häufiges Festhalten, Halt suchen
  • Bewegungsstarre, hohe Muskelspannung
  • Unsicherheiten beim Ausführen einer Tätigkeit mit häufiger Kopfbewegung oder Blickwechsel (z.B. abschreiben von der Tafel)
  • Unflexibel im Alltag
  • Ängstlichkeit
  • Schwindel, Blässe, Übelkeit, Augenzittern

Die oben genannten Auffälligkeiten können nur schwer dem Gleichgewichtssystem zugeordnet werden, da viele der beschriebenen Störungen auch beim taktilen und propriozeptiven System auftreten können. Daher bedarf es auch hier einer langfristigen Beobachtung und einer klaren Diagnostik. Oftmals werden die Auffälligkeiten nämlich nicht direkt auf das vestibuläre System zurückgeführt, da die Reaktionen nicht direkt mit diesem in Verbindung gebracht werden.

Blick auf… Gleichgewichtsübungen

Wie kann ich das „im Gleichgewicht bleiben“ unterstützen?

  • eine große Unterstützungsfläche (=Kontaktfläche die uns Stabilität gibt) geben
  • eine klare Körperinformation geben (Hand geben, Schultern berühren, Stabilität am Becken geben,…)
  • langsame Bewegungen üben/ anbahnen
  • mit Druckinformationen (Ansprache der Tiefensensibilität) arbeiten, z.B. Stampfen nach einem vestibulärem Reiz
  • Drehbewegungen gezielt und dosiert einsetzen
  • konzentriert auf eine Stelle blicken

Wie kann ich das Gleichgewicht schulen?

  • verschiedene Bewegungen in verschiedenen Körperpositionen durchführen- z.B. Stampfen mit den Füßen auf den Boden in Rückenlage, im Sitz und dann im Stand
  • auch das Drehen ist hier eine gute Übung- Drehen in Rückenlage, das Gewichtsverlagerung auf dem Stuhl und dann im Stehen (Nachspüren was passiert!)
  • Bewegungen mit offenen und dann mit geschlossenen Augen durchführen
  • Klassische Übungen wie Einbeinstand, Balancieren, …
  • Schaukeln, Klettern, Fahrrad fahren

Blick auf… mich

  • Fühle ich mich im Gleichgewicht?
  • Was bringt mich aus der Balance?
  • Wie sehr brauche ich die Augenkontrolle?
  • Probiere ich gerne neue Bewegungen aus?
  • Wie vertrage oder verarbeite ich Gleichgewichtsreize? (Schaukeln, Karussell oder Auto fahren?)
  • Der Gleichgewichtssinn verändert sich in der Regel mit zunehmendem Alter, kann ich das bei mir auch beobachten?

Die Beitragsreihe der Wahrnehmungssysteme ist hiermit beendet. Bleibt in Bewegung und in Balance.

Erlebt die Sommerzeit mit allen Sinnen. Wir melden uns im neuen Schuljahr wieder zurück!

Euer Team BlickKontakt

Veröffentlicht in Grundlagen, Selbstreflexion, Wahrnehmung

Zusammenspiel der Sinne

Liebe LeserInnen,

„ich finde etwas sinnvoll“, „bei Sinnen sein“, „alle Sinne zusammen haben“, „von Sinnen sein“, „wer nicht hören will, muss fühlen“. Auch hier übertragen wir oft die Sinneswahrnehmung in eine andere Bedeutung hinein. Wie funktioniert das mit der Zusammenarbeit der Sinne eigentlich?

Blick auf… das Zusammenspiel als Schutzfunktion

In den vorherigen Beiträgen wurde schon deutlich, dass die Sinne eine Schutzfunktion haben. Sie schützen uns vor Gefahren, die unser Leben beeinträchtigen oder sogar bedrohen könnten. So bleibe ich zunächst einmal stehen, wenn ich ein Auto auf mich zukommen sehe; ich halte inne, wenn ein lauter Knall ertönt; ich spucke etwas aus, was für mich seltsam schmeckt; ich vermeide eine Bewegung, die schmerzhaft ist… Hier könnte man in die Evolutionsgeschichte sicherlich noch tiefer eintauchen.

Blick auf… ein konkretes Beispiel

Wir nehmen ein Nahrungsmittel in die Hand- z.B. ein Stück Orange. Die Augen nehmen die Farbe orange wahr und die Form des Stückes, sie entscheiden jetzt als erstes, ob die Orange gut schmeckt oder nicht. Der Sehsinn ist die wichtigste Instanz bei der Entscheidung, ob wir etwas essen möchten oder eben nicht. (Sind Lebensmittel gefärbt haben wir eine Abneigung dagegen und müssen uns meist zum Probieren überwinden). Der Geruch informiert uns darüber, ob die Orange unbedenklich gegessen werden kann. Der Tastsinn nimmt den Fruchtsaft und die Temperatur auf und bereitet den Mund schon einmal vor. Die Zungenspitze schmeckt die Süße und im hinteren Bereich werden beim Kauen die Moleküle der Orange mit dem Geruch verbunden. Diese Informationen werden im Gehirn verarbeitet und bilden eine Vorliebe – oder eine Abneigung. Sind mehrere Geschmacksrichtungen zu unterscheiden, dann bildet sich bei der Verarbeitung aller Informationen aus den Sinneszellen das Geschmackserlebnis aus- den Flavour.

Blick auf… unsere „Sinnesfabrik“

Den Sinnen kommt allerdings auch noch eine andere wichtige Aufgabe zu. Wir sind denkende Wesen und nutzen die Sinne als Werkzeuge um uns die Welt zu erschließen. Wenn ich einen Tisch gesehen habe und in meinem Gehirn abgespeichert wurde, dass dieser Gegenstand als Tisch bezeichnet wird, dann kann ich mir diesen auch ins Gedächtnis rufen, wenn ich nur ein Tischbein oder die Tischplatte erfühle. Vielleicht assoziiere ich sogar einen Tisch, wenn jemand mit der Hand auf denselben schlägt. Zumindest werde ich unterscheiden können, ob mein Gegenüber in seine Hände oder auf den Tisch schlägt, wenn ich dies nur höre. Die Sinne sind somit Werkzeuge, die Reize von außen aufnehmen und unser Gehirn hat die Aufgabe diese Reize abzuspeichern und ständig zu sortieren nach Bekanntem, nach Unbekannten, nach Bedrohlichem, nach Angenehmen…Unser Gehirn bewertet also ununterbrochen die Reize die dort ankommen.

Stellen wir uns nun einmal vor, unsere Sinneswahrnehmung wäre eine Fabrik: Es gibt verschiedenen Abteilungen, die für bestimmte Arbeitsbereiche zuständig sind (Augen, Nase, Mund, Ohren, Haut). Diese Abteilungen nehmen Arbeitsaufträge entgegen und verpacken diese in transportable Pakete. Alle Pakete werden zunächst zum Controller geleitet. Diese übergeordnete Stelle im Gehirn überprüft jedes Paket auf seinen Inhalt. Unbrauchbares landet im Müll, Wichtiges wird im Lager (dem Gedächtnis) abgelegt und zwar im besten Fall in einem Regal, welches gut und deutlich beschriftet wurde, damit der Paketinhalt bei Anfrage schnellstmöglich wieder gefunden werden kann. So weit- so praktikabel! Nun gibt es auf dieser Erde jede Menge Fabriken, die das gleiche Produkt herstellen und bearbeiten. Trotzdem unterscheiden sich die Arbeitsart und die Lieferketten, kurz der Arbeitsprozess enorm. Jede Fabrik ist individuell organisiert, hat eigene Betriebsstrukturen. Jeder Mitarbeiter arbeitet auf seine eigene Art und Weise- es gibt fleißige, engagierte Arbeiter, müde, faule und überforderte Mitarbeiter, es gibt Starke und eher Schwächere und sogar eingeschränkte Arbeiter. Auch die Controller beurteilen Pakete in den Fabriken ganz verschieden. Was der eine als Unwichtig vernichtet wird in einer anderen Fabrik bei einem anderen Controller im Lager untergebracht. Die Lager sind in der einen Fabrik gut sortiert, in einer anderen wirken sie eher unsortiert. Auf unsere Wahrnehmung übertragen: Jeder Mensch hat seine eigene Sinnesfabrik mit unterschiedlichen Mitarbeitern, einem Controller und einem individuellem Lager. Jeder von uns hat also SEINE EIGENE GANZ INDIVIDUELLE WAHRNEHMUNG und somit auch seine EIGENE ERLEBNISWELT. Es werden also beim gleichen Sinnesreiz unterschiedliche Prozesse in Gang gesetzt und verschiedene Regale im Gehirn bedient. Daraus ergeben sich nun mehrere Fragen.

Blick auf… die Fragen

Was bedeutet das für meinen Alltag?

„Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ (Goethe)

Zunächst einmal ist es gut sich die eigene Erlebniswelt immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, damit ich nicht nur von meinem Erleben und von meinen Beurteilungen des Wahrgenommenen ausgehe. Aus dieser „Misere“ heraus hilft uns der Austausch mit Menschen. Es ist äußerst interessant und sinnvoll sich immer wieder die Zeit zu nehmen über Erlebtes und über die Wahrnehmungsempfindungen zu sprechen. Immer mit dem Wissen, dass alles, was ich empfinde und dementsprechend auch beurteile aus meiner eigenen Lebens- und Erfahrungsgeschichte heraus entstanden ist. Die Bereitschaft in die Haut meines Gegenübers zu schlüpfen, macht letztendlich den Umgang mit anderen leichter – es entwickelt sich Empathie.

Was bedeutet das für meine Lernangebote im Schulalltag? Im Grunde ermöglicht uns dieses Wissen einen enormen Spielraum. Wir können alle Werkzeuge benutzen, einzeln oder auch in Kombination. Voraussetzung scheinen uns hier eine gute Beobachtungsgabe und ein Ziel zu sein.

die Beobachtung: Wir können die Sinne zur Ansprache bei Lernangeboten nutzen- es gibt meist ein Sinnesorgan für das ein Schüler besonders empfänglich ist. Wir können Schüler aber auch durch Sinnesreize überfordern. Zu viel Sinnesreiz macht oftmals keinen Sinn! (Wenn zum Beispiel ein Sinn nicht richtig integriert ist oder eingeschränkt arbeitet.) Daher ist hier eine gute Beobachtung das „A und O“. – das Ziel: Im Lernprozess sollte man sich der Sinnesansprache immer wieder bewusst sein. Es ist ein Unterschied, ob ich die Sinneswahrnehmung als solche ansprechen möchte oder ob es sich um einen Lerninhalt wie z.B. das Zählen lernen handelt. Bei der konkreten Ansprache des Hörsinnes achten wir natürlich darauf, dass das Hören möglichst nicht durch andere Reize abgelenkt wird. Beim Zählen lernen kann es sehr förderlich sein dies mit Klatschen zu verbinden. Auch die Arbeitsmotivation kann ich durch eine zusätzliche Ansprache eines Sinns erhöhen. Es kann z.B. durchaus motivierend wirken eine Arbeit, die ich nicht gerne erledige- wie zum Beispiel ein Zimmer anstreichen mit Musik zu unterstützen.

Blick auf… mögliche Funktionsstörungen

  • Störung in der Reizaufnahme ( z.B. Funktion der Ohren ist beeinträchtigt, Funktion der Hautrezeptoren ist beeinträchtigt, es fehlt das Spüren wenn man eine Wunde oder Verletzung hat)
  • Störung in der Reizweiterleitung und -verarbeitung (z.B. Hörvermögen ist vorhanden, Reize werden nicht ausreichend ans Gehirn weitergeleitet, Gefahreneinschätzung ist dann meist eingeschränkt)
  • Störung in der Abspeicherung (z.B. Abspeicherung vom Wort „Tisch“ wird nicht zum Gegenstand zugeordnet)

Blick auf… das bevorzugte Sinnessystem

Mit einem einfachen Fragebogen kannst du herausfinden, welches Sinnessystem du bevorzugst. Entscheide dich bei den folgenden Fragen für die Antwort, die dir spontan als die „richtige“ erscheint, denke nicht zu lange darüber nach. Notiere dir die zutreffenden Buchstaben und zähle, wovon du am meisten hast. V = visuell, A = auditiv, K = kinästhetisch.

1. Wenn ich etwas Neues lernen möchte, unterstützen mich…
… Schaubilder auf Flipchart oder Pinnwand.V
… gute Erklärungen und die Möglichkeiten, nachfragen zu können.A
… viele Beispiele und praktische Übungen.K
2. Ein Vortrag ist für mich interessant(guter Inhalt vorausgesetzt), wenn…
… der Redner sein Thema so beschreibt, dass ich mir ein klares Bild machen kann.V
… der Redner interessant spricht, mit seiner Stimme und Lautstärke spielt.A
… mich der Redner oder sein Thema emotionale berührt.K
3. Ich kaufe neue Kleidungsstücke und suche sie danach aus, …
… dass sie in Farbe und Schnitt gut aussehen.V
… dass eine innere Stimme mir sagt: Das ist es!A
… dass der Stoff sich gut anfühlt.K
4. Wenn ich mich an ein schönes Ereignis erinnere, fällt mir zuerst ein…
… was ich gesehen habe.V
… was ich gehört habe.A
… was ich damals gefühlt habe.K
5. Wenn ich Streit mit einer wichtigen Person habe, macht mir am meisten zu schaffen, wenn der andere…
… keine Einsicht hat oder wenn ich mir nicht vorstellen kann, was der andere meint oder wenn mir das, was er meint, nicht logisch erscheint.V
… unfreundlich/ laut ist oder nichts mehr sagt oder mir nicht zuhört.A
… mich emotional verletzt oder ich mich ungerecht behandelt fühle oder ich keinen Kontakt zum anderen finde.K
6. Wenn ich Menschen von einer Sache überzeugen will, …
… beschreibe ich das Thema in schillernden Farben/ aus meiner Sichtweise.V
… diskutiere ich.A
… bin ich begeistert und versuche, bei anderen ein Feuer zu entzünden.K
7. Wenn ich verliebt bin,…
… dürfen alle sehen, wie ich strahle.V
… möchte ich mein Glück am liebsten in die Welt hinausrufen.A
… könnte ich die ganze Welt umarmen und an meinem Glück teilhaben lassen.K
Auswertung
Anzahl angekreuzte V 
Anzahl angekreuzte A 
Anzahl angekreuzte K 
aus: „NLP-Practitioner-Lehrbuch. Potenziale entfalten mit Neurolinguistischem Programmieren“ von Petra Dannemeyer & Ralf Dannemeyer

Blick auf… mich

  • Überrascht mich mein Ergebnis oder war ich mir schon vorher sicher über meinen Lieblingssinn?
  • Berücksichtige ich mein bevorzugtes Sinnessystem in Beruf, Privatleben und Hobbies?
  • Aktiviere ich meine Sinne regelmäßig?
  • Funktionieren alle meine Sinne gleich gut?
  • Gebe ich jedem Sinn in meinem Alltag Raum?
  • Achte ich darauf, welches die bevorzugten Sinnessysteme der Menschen um mich herum sind?

Sich auf die Spur seiner und der Sinne anderer zu begeben, bedeutet sich auf die Spur des subjektiven Erlebens zu begeben.

Euer Team

BlickKontakt

Veröffentlicht in Entwicklung, Grundlagen, Wahrnehmung

Süß, salzig oder umami?

„Das lasse ich mir auf der Zunge zergehen“, „deine Suppe musst du schon selbst auslöffeln“, „das schmeckt mir aber gar nicht“, „Jeder ist, was er isst“, „den kann ich nicht riechen“, „das stinkt mir“. Auch hier gibt es viele Sätze und Redewendungen, die wir in unserem Alltag im übertragenen Sinne benutzen.

In diesem Beitrag möchten wir die Tätigkeiten von Nase und Mund gemeinsam beschreiben, da die beiden Sinne eng miteinander verwoben sind.

Blick auf … die Funktionsweise

Der Geruchssinn ist wohl der älteste aller Sinne. Die Nase nimmt die Luft von außen auf, erwärmt diese und reinigt sie in erster Instanz mit ihren Sinneshärchen von Schmutz und Staub. Weiter hinten sitzen jede Menge Sinneszellen (350 Rezeptorentypen für ca. 10 000 Geruchsvariationen), die Gerüche chemisch aufnehmen und diese auf ihrem Weg zum Gehirn in elektrische Impulse umwandeln. Das besondere dieser Geruchsinformationen ist es, dass sie ohne eine Zwischenstation direkt ans Gehirn geleitet werden. Es findet dort ein unmittelbarer Abgleich mit Emotionen und Empfindungen statt. Gerüche wirken direkt belebend, wohltuend, widerlich, abstoßend… Geruch ist also IMMER mit Emotionen besetzt und führt daher auch zu vollkommen unbewussten Entscheidungen. Im Gehirn werden die Geruchsimpulse zusammen mit den Geschmacksinformationen analysiert und zu Erinnerungen und früherem Erleben in Beziehung gesetzt- also bewusst gemacht. Der Geruchssinn hat die stärkste Verbindung zu unseren Emotionen.

Der Geschmacksinn ist der schwächste aller Sinne. Nach der Geburt schmeckt der Säugling zunächst nur Süßes, Muttermilch HAT diesen süßlichen Geschmack. Die Vorliebe für süße Speisen bei Kindern könnte hier eine Begründung finden. Der Geschmackssinn besitzt im Verhältnis zu den anderen Sinnen, die geringste Zahl an Rezeptoren. So können wir mit der Zunge nur basale Geschmacksqualitäten schmecken. Salzig, sauer/ bitter, süß und umami („fleischig“, „würzig“ oder „wohlschmeckend“). Mechanorezeptoren liefern Informationen über die Konsistenz der Nahrung und Thermorezeptoren ermitteln die Temperatur. Süßes wird eher bei warmer, während Bitterstoffe in kühlerer Temperatur wahrgenommen werden. Beim Kauen und bei der Ausatmung verbinden sich jetzt schon mal im hinteren Bereich unseres Mundes Informationen mit dem Geruchseindruck. Diese Informationen werden weitergeleitet an den Hirnstamm, der dann den Speichelfluss, eine Schluckbewegung oder auch den Würgereflex auslöst. Wichtig ist, dass die Verarbeitung im Gehirn zusammen mit den Signalen aus der Nase stattfindet. Ca. 80% des Geschmacks werden durch den Geruch ermittelt und aufgrund der Geruchsimpulse interpretiert.

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Geschmack | wein.plus Wein-Lexikon

Blick auf… das Unbewusste

Die beiden Sinne sind, wie schon erwähnt, direkt mit Emotionen verbunden und schenken uns daher oftmals intensive- sehr schöne aber auch sehr unangenehme Augenblicke. Die Verbindung von Geruchs- und Geschmacksinn schützt uns vor Gefahren. Wir erkennen meilenweit, wenn etwas faulig oder unangenehm riecht. Das erste Warnsignal vor einer Bedrohung! Dann heißt es Abstand halten oder ein Nahrungsmittel nicht zu uns zu nehmen. Auch in unseren Beziehungen spielt der Geruchssinn eine bedeutende Rolle. Jeder Mensch hat seinen eigenen individuellen Körpergeruch- so einzigartig wie der Fingerabdruck. Wir versuchen diesen mit Deos und Creme zu übertünchen. Jedoch auch Parfüm riecht auf jeder Haut anders. Unser Geruchssinn nimmt unbewusst die Körpersignale wahr und bewertet diese. Somit kann es sein, dass uns ein Mensch unangenehm erscheint, obwohl sich uns rational kein Grund dafür zeigt. Geruch hat also Einfluss auf die Bildung einer Gruppe und zu dem Gefühl der Zugehörigkeit. Gerüche und der Geschmack sind basale Sinne, die uns in der Regel auch im hohen Alter noch Emotionen vermitteln können. Schnell landen wir in der Kindheit, wenn uns ein entsprechender Geruch umgibt, oder die Suppe mal wieder wie bei Oma schmeckt.

Blick auf… die Förderangebote

  • Geruchs- oder Geschmacksmemory
  • bewusst in Zeitlupe essen (z.B. Geschmacksveränderung durch das Kauen beobachten)
  • mit unterschiedlichen Gewürzen arbeiten
  • Duftöle ausprobieren
  • Schnupperparcours

Die Reaktionen auf Geruch und Geschmack sind maximal individuell, daher sollten wir zu aller erst wertfrei mit Geruchs- und Geschmacksempfinden umgehen, im Unterricht Angebote sorgfältig auswählen und die nachfolgenden Reaktionen gut beobachten.

Hier gibt`s was zum Schmecken

  1. Nimm dir ein Stück Brot und iss es auf deine gewohnte Art und Weise – Wonach hat es geschmeckt?
  2. Nimm dir ein Stück Brot und rieche zunächst bewusst daran – Wonach riecht das Brot? Kaue bewusst ca. 15 mal auf einem Bissen bevor du es herunterschluckst – Wonach schmeckt es jetzt? Schmeckt es anders als vorher?

Blick auf… mich

  • Achte ich auf Geruch? Wann achte ich besonders auf Gerüche?
  • Welcher Geruch löst bei mir Kindheitserinnerungen aus?
  • Wieviel Zeit nehme ich mir beim Essen?
  • Was schmeckt mir?
  • Wann genieße ich richtig?

„Lasst euch die Suppe nicht versalzen…“

Euer Team

Blickkontakt

Veröffentlicht in Entwicklung, Grundlagen, Wahrnehmung

Hört, hört

Liebe LeserInnen,

vom „Hörensagen“, „die Ohren lang ziehen“, „ich kann das nicht mehr hören“, „übers Ohr gehauen werden“, „hab lange nichts von dir gehört“, „bist du schwerhörig?“ „eine Stecknadel fallen hören“ oder „auf dem Ohr höre ich schlecht“ sind einige Redewendungen, die wir im Alltag benutzen. Dem Hörsinn als Wahrnehmungsorgan wenden wir uns im folgenden Beitrag zu.

Blick auf… die Entwicklung

Das Hören entwickelt sich als erster Sinn im Mutterleib. Ungefähr ab dem 6. Monat wird der Herzschlag der Mutter gehört und Musik registriert. In den ersten Lebensmonaten differenziert sich der Hörsinn in großen Schritten weiter. Er braucht Reize aus der Außenwelt um aktiv werden zu können. Mit ca. 4 Monaten entsteht die Verbindung von Augen und Ohren – das Hinwenden zu Geräuschen gelingt mehr und mehr. Die Ohren sind unser differenziertestes Sinnesorgan.

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https://www.prosurdis.ch/gut-zu-wissen/das-menschliche-gehoer/unser-ohr-anatomie-physiologie/

Ein Ohr nimmt Luftdruck durch die Ohrmuschel wie durch einen Trichter auf und leitet die Schallwellen in das Innere unseres Körpers. Hammer, Amboss und Steigbügel empfangen diese Schallwellen und geben sie weiter an die Hörschnecke. Diese enthält Flüssigkeit, welche die Bewegung des Schalls bis zu den Haarzellen transportiert. Die Haarzellen wandeln den physikalischen Reiz dann in einen neurologischen (elektrischen) Reiz um. Die Zellen haben eine klare Aufgabenteilung und sind sehr spezialisiert. So gibt es Zellen, die für Lautstärke, Höhe oder Geschwindigkeit verantwortlich sind. Manche registrieren nur den Anfang, andere nur das Ende eines Tons. So gelingen uns feinste Unterscheidungen. Für die Ortung eines Geräuschs sind beide Ohren gefragt. So kommt ein Ton von rechts stärker und schneller auf dem rechten Ohr an und ermöglicht unserm Kopf die Orientierung nach rechts. Die Verarbeitung eines Geräusches gelingt dann im auditiven Teil unseres Gehirns, welches den Tönen durch das Abspeichern und Vergleichen- dem Lernen, Bedeutung gibt. Im Laufe des Lebens entwickelt sich eine Filterung von wichtigen und unwichtigen Geräuschen. Unser Gehirn sortiert ob ein Geräusch verarbeitet wird, ob wir ihm eine Bedeutung schenken und in welchem Maße wir reagieren.

Hier gibt’s was zum Hören

Unsere Ohren lassen sich nicht abschalten. Die Augen und die Nase können wir uns zuhalten, der Geschmack kann pausieren, unsere Ohren sind jedoch immer aktiv. Wir haben euch bei unseren Beiträgen zu den „Sinnen“ immer zu einer kleinen Selbsterfahrung oder zur Eigenwahrnehmung eingeladen. Beim Thema „Hören“ haben wir etwas länger überlegt was interessant sein könnte….und sind dann auf die „STILLE“ gestoßen.

Stille ist die Abwesenheit jeglicher Geräusche, ohne Bewegung (Wikipedia). Stille ist immer da, sie ist sozusagen die „Grundlage“ aller Geräusche. Stille kann ein wohltuender Zustand sein. Stille ist aber auch unangenehm, wenn z. B. in einer Gesprächsrunde niemand etwas sagt. Stille wird, wie jede einzelne Sinneserfahrung ganz individuell erlebt.

Im Podcast „Stille ist für mich…“ könnt ihr unsere Gedanken zur Stille hören und vielleicht auch ein wenig stille werden und die Stille in euch finden. (Dauer: ca. 2 Minuten)

https://schulbox.bildung-rp.de/index.php/s/sDAWGy6LXwMZD6H

Blick auf… „Nicht-Sehen trennt uns von Dingen, Nicht-Hören trennt uns von Menschen.“ (Immanuel Kant)

Unsere Alltagsgeräusche sind chaotisch und erfordern eine enorme Arbeitsleistung um den vielfältigen Input zu bearbeiten. Ein gutes Gehört ermöglicht eine gute Reaktionsfähigkeit auf die Anforderungen im Alltag. Wir werden flexibel und selbstsicher im Handeln. So unterscheiden wir blitzschnell ob ein Hund bellt oder eine Mikrowelle klingelt. Wir werden beim Bellen eines Hundes sofort aufmerksamer sein und uns versichern, dass keine Gefahr droht.

Die Fähigkeit Hören zu können macht uns zu kommunikativen und sozialen Wesen, denn das Hören ist die Voraussetzung für eine gute Sprachentwicklung. Sich äußern können und zuhören sind der Schlüssel zum Miteinander. Die Fähigkeit einem Menschen zuzuhören ist die Basis um mitzufühlen zu können. Auch bei den Ohren werden die Impulse, wie bei den Augen, schnell mit einer Emotion verbunden. So ist es uns möglich z. B. an der Ansprache eines Menschen zu erkennen, ob dieser freundlich oder aggressiv ist. Der Hörsinn ist also ein Tor zur Außenwelt und zu den Menschen. Im Innenohrs sitzt außerdem noch ein weiteres sehr wichtiges Organ- unser Gleichgewichtssystem, dessen Arbeit wir in einem anderen Beitrag, noch genauer beschreiben werden.

Blick… auf Förderangebote

  • Hörspaziergang
  • „Ich höre was, was du nicht hörst“; „Mein rechter, rechter Platz ist frei“
  • Ich packe meinen Koffer…Variante mit Geräuschen
  • Rhythmus hören und nachklatschen/stampfen/…
  • Wo höre ich das Geräusch?
  • Wann endet ein Geräusch? z.b. dann drehe ich mich um, oder stehe auf
  • Quatschsprache-Phantasiewörter entwickeln
  • Worte deutlich vorsprechen, korrigierende Aussagebestätigung/ Korrigiertes Feedback
  • Hörmemory

Blick auf… mich

  • Höre ich in mich hinein?
  • Wie sehr fordere ich meine Ohren? Gönne ich auch meinen Ohren eine Pause?
  • Sind die Ohren ein guter Wahrnehmungskanal für mich? Kann ich mir Gehörtes gut merken?
  • Wo höre ich besonders hin?
  • Kann ich gut zuhören?
  • Wann möchte ich am liebsten weghören? Schalte ich manchmal auf „Durchzug“?

In diesem Sinne: „IHR HÖRT VON UNS“

Euer Team

Blickkontakt

Veröffentlicht in Grundlagen, Kommunikation, Wahrnehmung

Ich behalte den Durchblick

Liebe LeserInnen,

oft benutzen wir im Alltag „ich behalte den Durchblick“, „ich blicke nicht durch“, „gerne möchte ich den Überblick behalten und ungerne etwas übersehen“. Häufig nutzen wir diese Redewendungen nicht in ihrem eigentlichen Wortsinn und geben dem ganzen eine andere Bedeutung. Eigentlich sprechen sie das visuelle System an und zeigen welche Alltagsbedeutung es für uns hat.

Blick… auf die Entwicklung

Im Mutterleib ist es ab dem 5. SSM möglich hell und dunkel zu unterscheiden. Das Sehen entwickelt sich aber erst nach der Geburt vollkommen. Mit der Wahrnehmung von Lichtquellen werden zunächst Umrisse und dann immer mehr Strukturen aus der Umwelt erkannt. Das nahe Erkennen von Gegenständen scheint sich schon recht früh zu entwickeln, denn Säuglinge zeigen schnell Interesse an unterschiedlichen Formen. Die Auge-Hand-Koordination wird aktiviert. Das Sehen in die Weite differenziert sich zunehmend und Bilder (zunächst natürlich z.B. der Umriss der Bezugspersonen) werden im Gehirn abgespeichert. Das Sehsystem übernimmt mehr und mehr die Aufgabe der visuellen Orientierung im Raum bei Bewegung. Der Sehsinn ist hier eine wichtige Kontrollinstanz und hat im Gehirn im Vergleich zum Hören und Schmecken die höchste Priorität. Die Augen sind eng mit dem Gleichgewichtssinn verknüpft. So lernen wir Entfernungen abzuschätzen, Geschwindigkeiten von Gegenständen oder Personen, die sich bewegen zu erkennen und uns mit unseren Bewegungen entsprechend anzupassen und natürlich auch bewusst Körperpositionen im Raum einzunehmen. Mit dem Sehsinn ist es möglich Dinge zu fokussieren, welches das Greifen und Hantieren anregt. Die sich im Anschluss daran entwickelnde Graphomotorik wird entscheidend unterstützt. Die Fähigkeit zu Fokussieren hat Einfluss auf das Maß unserer Aufmerksamkeit. Je besser es uns gelingt eine Sache zu fokussieren, umso weniger lassen wir uns durch äußere Reize ablenken. Visuelle Eindrücke werden des Weiteren sehr früh im Verarbeitungsvorgang mit Emotionen verknüpft. So können wir in der Regel recht gut einen Gefühlszustand auf einem Bild oder auch die Gefühlslage unseres Gegenübers mit einem Blick einordnen. Die Verarbeitung von Sinnesreizen der Augen und der Ohren sind eng miteinander verknüpft, besonders die Interpretation von Emotionen verbindet diese beiden Sinne.

Blick auf… Nah- und Fernsicht

Damit wir gut sehen können verändert die Linse der Augen ständig ihre Form (=Akkomodation). Dafür sind sechs Muskeln verantwortlich, die sich zusammen ziehen oder entspannen. Beim scharfen Hinsehen ziehen sich die Muskeln zusammen und die Linse wird eng. Beim Blick in die Weite entspannen sich dementsprechend die Augenmuskeln und die Linse wird weit. Im Alltag ist es wichtig einen guten Ausgleich zwischen beiden Augenfunktionen zu haben, damit die Augen flexibel auf die äußeren Anforderungen reagieren können. Sitzen wir z.B. zu lange am Computer, dann fällt das Umschalten vom Nahsehen hin zur Fernsicht zunehmend schwer. Die Muskeln des Körpers arbeiten alle zusammen und deren Tätigkeit und Spannungszustände beeinflussen sich gegenseitig. Somit beeinträchtigt eine schlechte Körperhaltung auch die Spannung der Augenmuskeln und letztendlich auch das Sehen. Habe ich z. B. ständig eine zu hohe Muskelspannung, vor allem im Nackenbereich, dann arbeiten reflektorisch auch die Augenmuskeln unter erhöhter Anspannung.

Blick auf… Kommunikation

Kurz erwähnen möchten wir auch, dass unsere Augen ein sehr wichtiges Kommunikationsmittel sind. Sich anschauen ist meist der erste Schritt, um mit einem Menschen in Kontakt zu treten. Mit Blicken kann ich mich rückversichern, ob alles in Ordnung ist, ob ein näherer Kontakt erwünscht oder eher nicht erwünscht ist. Je nach Situation können wir eine Aufforderung etwas zu tun oder auch zu lassen mit Blicken kommunizieren. „Blicke sagen mehr als 1000 Worte“ heißt es. Jeder von uns kennt diesen einen Blick, der uns Sicherheit gibt, der uns aufmuntert, der uns stärkt oder auch von etwas abhält. Uns sollte aber stets bewusst sein, dass wir es sind, die einen Blick interpretieren und die Interpretation auch immer etwas über uns selbst aussagt und nicht unbedingt das sein muss, was unser Gegenüber mit Blicken sagen wollte.

Blick auf… Förderangebote

  • für gute Lichtverhältnisse beim Arbeiten am Tisch sorgen
  • auf eine gute Sitzposition achten, aufrecht sitzen und das Arbeitsmaterial in einem guten Abstand auf dem Tisch positionieren
  • für einen klaren und übersichtlichen Arbeitsplatz sorgen: auf dem Tisch liegt nur das Arbeitsmaterial
  • das Arbeitsmaterial anpassen, z.B. helle Schrift auf dunklem Hintergrund, schwarze Schrift auf gelbem Papier, Farbkontraste benutzen….Seid mutig hier mal ein wenig auszuprobieren :-))
  • einen Raum mal gezielt auf visuelle Reize hin überprüfen
  • liegende Acht mit den Augen verfolgen (ohne den Kopf zu bewegen)
  • ein Auge zuhalten und einer gemalten Linie entlang schauen
  • Spiele mit Zuzwinkern (Schüler blinzeln sich gegenseitig zu)
  • auch frische Luft ist wichtig für die Sauerstoffversorgung der Augen
  • vorgegebene Naturmaterialien im Wald suchen
  • Beobachten: z.B. einen Käfer auf dem Waldboden mit den Augen verfolgen
  • den Augen eine Pause gönnen und aus dem Fenster in die Weite schauen
  • Übung zur Entspannung der Augen (Palmieren): Lege beide Hände auf deinen Augen ab und bedecke deine Augen vollkommen. Die Handflächen sollten dabei vor den Augen sein, nicht die Finger. Du kannst deine Augen geschlossen halten, oder auch in die Hände hineinschauen. Bleibe hier für ein paar Minuten und spüre die Wärme deiner Hände. Danach kannst du dich einmal bewusst umschauen.

Hier gibt es was zum Gucken

Was siehst du: die junge oder die alte Frau?

Welcher Pfeil erscheint dir länger zu sein?

Vielleicht kennt ihr Kippbilder und optische Täuschungen dieser Art. Sie führen uns immer wieder spannend vor Augen, wie unsere Wahrnehmung funktioniert, wie leicht sie sich täuschen oder durch Vorerfahrungen beeinflussen lässt.

Blick auf… mich

  • Was fokussiere ich?
  • Kann ich den Blickwinkel wechseln?
  • Gelingt es mir eine Situation von oben zu betrachten?
  • Wie oft schaue ich auf mein Handy? Wie lange arbeite ich am PC?
  • Gönne ich meinen Augen eine Pause? Fange ich bei Ermüdung an zu blinzeln?
  • Interpretiere ich gerne in Blicke etwas hinein? Wie stark ist das abhängig von meiner eigenen Befindlichkeit?

Never bend your Head. Always hold it high. Look the world straight in the eye. (Helen Keller)

Dieser Beitrag ist der Auftakt zu einer Beitragsreihe, die sich mit unseren Sinnen und Wahrnehmung beschäftigt. In den kommenden Wochen erscheint wöchentlich ein neuer Beitrag – in diesem Sinne: „Man sieht sich!“

Euer Team BlickKontakt

Veröffentlicht in Grundlagen, Wahrnehmung

Ich fühle mich wohl in meiner Haut

Liebe LeserInnen,

„ich fühle mich wohl in meiner Haut“ sagen wir, wenn wir uns rundum wohl fühlen und auch auf psychischer Ebene in Balance, im Reinen mit uns selbst sind. Wir „fahren aus der Haut“ oder „können nicht aus unserer Haut“. Wir können „dünnhäutig“ sein, möchten manches Mal nicht in jemandes „Haut stecken“ oder begegnen einer „ehrlichen Haut“. Haben wir Glück im Unglück, kommen wir mit „heiler Haut davon“. Besondere Erlebnisse – ob negativ oder positiv – können uns richtig „unter die Haut gehen“. Die Haut ist ein Organ, das wir redensartlich in seiner Ganzheit erfassen, der ganze Körper ist betroffen und die Haut scheint mit der eigenen Person, dem Selbst gleichgesetzt. Hier lokalisieren wir starke emotionale Regungen, Wohlbefinden oder Missempfinden und auch Empathie. Manchmal kehrt die Haut auch „unser Inneres nach Außen“, wenn sie etwa auf Stress oder andere psychische Belastungen sichtbar reagiert.

Blick auf … die Entwicklung

Ca. in der 8. Schwangerschaftswoche nehmen die Sinne ihre Tätigkeit im Mutterleib auf. Das Fruchtwasser regt die ersten Körperempfindungen an, Vibrationen im Mutterleib werden wahrgenommen. Es kommt zum ersten Hand-Mund-Kontakt (12.- 16. SSW). Bewegung, Druck, Ruhe und Unruhe spürt das ungeborene Kind im Mutterleib. Nach der Geburt muss der Säugling sich in den ersten Tagen und Wochen zunächst einmal an die „verlorene“ Sicherheit des Mutterleibes und die entstandene/gewonnene Freiheit in dieser Welt gewöhnen.

Blick auf … die Haut

Die Haut ist mit ca. 2 Milliarden Hautzellen und mit ca. 2 qm Fläche unser größtes Sinnesorgan. Sie ist zuständig für den Schutz vor Infektionen und Verletzungen, für die Verarbeitung von Berührungen und für die Wärmeregulierung unseres Stoffwechsels. Sie ist unsere Verbindung, aber auch unsere Abgrenzung zur Außenwelt. Die Haut hat zwei Qualitäten. Sie kann passiv mit ihren Rezeptoren Reize aus der Umwelt durch Berührung aufnehmen (= taktil) und aktiv durch Bewegungen/Anfassen Empfindungen auslösen (Haptik). Hier ist wichtig zu erwähnen, dass die Anzahl der Informationszellen in den Händen und den Fingerkuppen um einiges höher ist, als zum Beispiel auf unserem Rücken. Daraus ergibt sich, dass ein größerer Anteil des Gehirns mit der Verarbeitung von Sinnesreizen, die von den Händen aufgenommen wurden, beschäftigt ist. Hände, Füße, Nase und Mund haben große Verarbeitungsareale im Gehirn. Die Haut besteht aus 3 Schichten, die mit unterschiedlichen Nervenenden in unterschiedlicher Dichte ausgestattet sind. Es gibt Körperchen, die Temperaturreize (Thermorezeptoren) aufnehmen und weiterleiten, es gibt druckempfindliche Nervenenden (Meißner-Körperchen), die spezialisiert sind auf Vibrationen (Vater-Pacini-Körperchen) oder auf Schmerz. Die Weiterleitung erfolgt entweder bis zum Rückenmark und wird dort reflexmäßig verschaltet (Schutzreflex beim Berühren der heißen Herdplatte) oder sie läuft weiter zum Gehirn, wo sie konkret in verschiedensten Hirnarealen verarbeitet und dann als Empfindung abgespeichert wird.

Die Haut ist ein eher schwächer ausgebildetes Wahrnehmungssystem (im Vergleich zu den Fernsinnen), sie hat jedoch den größten Einfluss auf unser Wohlbefinden. Berührungen sind einfach lebensnotwendig – vor allem bei Säuglingen und Kindern.

Den Körperberührungen werden mehr und mehr positive Effekte zugeschrieben. Es finden sich mittlerweile viele Studien, die sich mit der Wirkung von taktilen Impulsen auf unser Wohlbefinden, auf unsere Entwicklung und auf unsere Verhaltensweisen auseinandersetzen. Körperkontakt ist nicht nur im Kindesalter fundamental, Berührung scheint in jedem Lebensbereich Einfluss zu haben.

In diesem Zusammenhang ist das Oxytocin ein wichtiges Hormon, welches vielen als das „Bindungshormon“ bekannt ist. Zunächst war nur erwiesen, dass dieses Hormon in der Schwangerschaft und bei der Bindung von Mutter und Vater zum Kind eine Rolle spielt. Das Hormon gewinnt jedoch auch in unserem Schulalltag an Bedeutung, da seine Produktion durch Sinneserfahrungen aktiviert wird. So kommt es bei bewusst ausgeführten Berührungen der Haut von vertrauten Personen zur Freisetzung von Oxytocin, welches dann als Neurotransmitter im Gehirn wirkt. Dort werden Endorphine freigesetzt, die ein positives Empfinden auslösen, aber auch reaktiv die Produktion von Stresshormonen senken. Körperkontakt hat Einfluss auf das Vertrauen in Menschen und das Gefühl von Gruppenzugehörigkeit. Teamfähigkeit wird gestärkt und auch die Entwicklung von Empathie kann gefördert werden. Bei Alltagsberührungen ist diese Hormonausschüttung eher gering, hat jedoch durchaus einen Effekt im Gehirn. Berührungen sollten in der schulischen Arbeit immer gezielt und sehr achtsam eingesetzt werden, da eine Berührung auch Stress auslösen und Unbehagen hervorrufen kann.

Blick auf… die Aktivierung von Oxytocin

Oxytocinausschüttung in unserem Alltag kann aktiviert werden durch:

  • kleine Berührungen
  • kurze Umarmungen
  • Massagen
  • Komplimente machen und bekommen
  • ein leckeres Essen
  • geliebte Musik
  • das Streicheln von Tieren
  • ein gemütliches Bad in der Wanne
  • ein netter Austausch mit lieben Menschen
  • Bewegung in der Natur

Blick auf… Förderangebote

Gezielte Berührungsimpulse im Alltag:

  • Möchte ich zum Beispiel Sicherheit in einer Körperposition geben, dann ist es gut einen eher großflächigen Druckimpuls zu geben.
  • Möchte ich nur kurz die Aufmerksamkeit (Hinschauen) anregen, dann reicht meist eine sanfte Berührung am Arm.
  • Möchte ich die Muskelspannung herabsenken, dann ist es unterstützend vom Rumpf Richtung Armen/Beinen zu streichen.
  • Möchte ich die Muskelspannung erhöhen oder einen Muskel gezielt aktivieren, dann ist es gut genau umgekehrt (von den Händen/Füßen aus zum Rumpf hin) zu klopfen. Somit regt z.B. das Klopfen mit den Fingerspitzen auf den Handrücken die Handaufrichtung als Vorbereitung zum Schreiben an.
  • Möchte ich den Rücken zum aufrechten Sitzen aktivieren ist es gut vom Nacken nach unten zum Kreuzbein hin zu streichen.

Taktile Angebote:

  • Massagen und Massagegeschichten
  • Sinnesgeschichten mit verschiedenen Materialien
  • Zahlen, Buchstaben auf den Rücken schreiben und erraten
  • Antippen als Aufforderung zum Aufstehen (ohne verbale Unterstützung)
  • Eincremen und Duschen bei der Wohlfühltemperatur

Haptische Angebote:

  • Materialkisten/Fühlmemory
  • Buch zum Fühlen
  • Arbeiten mit Kleister und Co
  • Spielen im Sand
  • Hantieren mit Lebensmitteln (Teig kneten….)

Blick auf… mich

  • Kann ich mich abgrenzen?
  • Wie grenze ich mich ab?
  • Was berührt mich?
  • Wie sehr kann ich mich in andere Menschen einfühlen?
  • Was geht mir unter die Haut?
  • Wie wichtig ist mir Berührung? (Fehlt sie mir/ oder wie sehr fehlt mir Berührung in Coronazeiten?)
  • Welche Berührungen empfinde ich als angenehm? Bin ich ein taktiler oder eher ein haptischer Wahrnehmungstyp?
  • Nutze ich, oder in welchem Rahmen nutze ich den Tastsinn bei Unterrichtsangeboten?

Im letzten Jahr hat sich unsere Arbeit im Unterricht in Bezug auf Berührungen komplett verändert, wir halten Abstand und vermeiden Körperkontakt. Umso wichtiger sind Umarmungen und kleine Berührungen in der Familie.

Hinter diesem Link findet ihr eine kleine Meditationsanleitung zum Thema „Haut und Berührung“(10 Min.) https://schulbox.bildung-rp.de/index.php/s/j6bexTeEoaj9KEb

Fühlt euch wohl in eurer Haut und genießt den Frühling!

Nach Ostern geht es weiter mit den Fernsinnen – bis dahin!

Euer Team BlickKontakt

Veröffentlicht in Entwicklung, Grundlagen, Wahrnehmung

Propriozeption- über unsere Stellung in der Welt

Liebe LeserInnen,

heute folgt ein Bericht, der uns in die Tiefen der Sensibilität führt. Ein sehr wichtiges Wahrnehmungssystem, welches mit unserem Fühlen, mit der Motorik, mit der Umweltbegegnung, aber auch mit der psychischen Entwicklung eng verbunden ist.

Blick auf … die Geschichte

Zum ersten Mal wurde die Tiefenwahrnehmung um 1900 beschrieben.
Zunächst finden sich Texte von Charles Bell, der sich Gedanken darüber
machte, wie die aufrechte Körperhaltung ohne visuelle Kontrolle zustande
kommt. Er bezeichnet das Bewusstsein für Bewegung und Körperhaltung als
„sechsten Sinn“. Charles Sherrington prägte etwas später den Begriff der
Propriozeption (= Tiefenwahrnehmung). Er entdeckte die Sinneszellen in Muskeln und Gelenken, die Lage- und Bewegungsinformationen an das Gehirn weiterleiten.

Blick auf… die Literatur

Wichtig scheint es uns hier zu erwähnen, dass es keine eindeutige Einteilung der propriozeptiven Sinne gibt. Die Namen variieren in der Literatur. Wir haben uns für diese Begriffe entschieden, weil sie für uns am ehesten deren Aufgaben beschreiben.

Blick auf… Propriozeption

Vielleicht habt ihr euch schon einmal gefragt, was eigentlich Körperwahrnehmung ist und warum diese überhaupt so wichtig für die Entwicklung eines Menschen und für das Lernen ist. Wir reden im Schulalltag so oft über Körperwahrnehmung, Eigenwahrnehmung, Fremdwahrnehmung, Tiefenwahrnehmung, …

Die Tiefenwahrnehmung hat ihren Namen nicht umsonst bekommen. Sie ist unser innerstes tiefstes Wahrnehmungssystem. Verständlich wird die große Bedeutung der Propriozeption, wenn wir uns deren Entwicklung einmal genauer anschauen. Propriozeptive Wahrnehmung beginnt vorgeburtlich. Schon im Mutterleib werden Informationen zur Lage des eigenen Körpers aufgenommen. Hier wird der begrenzte Raum der Gebärmutter durch Druckimpulse der Gebärmutterwand vermittelt. Diese Begrenzungsinformationen lösen das erste eigene Körpergefühl aus. Ein starker propriozeptiver Reiz wird während des Geburtsvorgangs ausgelöst. Nach der Geburt sucht der Säugling weiterhin nach Widerständen und Grenzen (z.B. die Unterlage, die Arme der Bezugspersonen), welche ihm eine klare Information vom eigenen Körper geben. Der Säugling braucht diesen intensiven Körperkontakt, weil er ohne die Anregung des tiefensensiblen Systems in der Welt verloren geht. Wir alle wissen, dass Menschen ohne Körperkontakt und ohne (Sinnes-)Ansprache nicht überleben können.

Mit ungefähr drei Monaten arbeiten die Sinne mehr und mehr zusammen und das Körperempfinden wird klarer, Bewegungen werden gezielter. Mit ca. einem Jahr sind die Tiefensinne integriert und werden weiterhin ein Leben lang geschult.

Die Tiefenwahrnehmung ist ein Prozess, der unbewusst abläuft. Nur, wenn ich weiß, in welcher Körperhaltung ich mich im Raum befinde, kann ich mich nach außen richten und mich bewegen. Nur, wenn meine Muskeln unbewusst den richtigen Tonus aufbauen und halten können – und das am besten noch ohne Anstrengung -, kann ich in Kommunikation mit meiner Umwelt treten und etwas bewirken. Bin ich dagegen mit zu viel Unsicherheit in meiner momentanen Körperposition beschäftigt, kann ich mich nur sehr schwer auf eine Aufgabenstellung, möge sie auch noch so simpel sein, konzentrieren. Propriozeption ist also die Basis für unsere Stabilität, Orientierung im Raum und für jegliche Art von Bewegung (ob grobmotorisches Klettern oder feinmotorisches Geschick). Klar wird also spätestens jetzt: Die Propriozeption bestimmt meine Stellung in der Welt, körperlich und aus meinem Selbstempfinden heraus auch psychisch.

Blick auf… Propriozeption und Selbstempfinden

Wir hoffen, es ist schon jetzt deutlich geworden, dass die Tiefenwahrnehmung unser „Urempfinden“ ist. Und das gilt nicht nur für die motorische und sensorische Entwicklung, auch das Selbstempfinden, die Selbstwirksamkeit und die psychische Stabilität entwickelt sich in großem Maße aus diesem Sinn. Das innere Körperbild ist die Basis von Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Im Körper selbst wird ein Gefühl von „Ich bin“ abgespeichert. Habe ich in meiner Kindheit die „Grenzen“ meines Körpers (durch Körperkontakt, durch Wärme und die Umgebung) wahrnehmen können, dann konnte ich auch ein Körperbewusstsein entwickeln. Malen wir uns nun einmal kurz aus, was passiert, wenn aus verschiedensten Gründen (behinderungsbedingt, aber auch biografisch durch Familienstrukturen,… ) dieses System nicht angesprochen werden konnte und daher auch nicht angemessen arbeiten kann. Wie ist es, wenn ein Grenz- und Körperempfinden nur wenig ausgebildet ist, oder sogar fehlen?

Blick auf … die Störungen in der Entwicklung der Propriozeption

Wenn dieses Sinnessystem nicht effektiv arbeitet, kann es zu einer Vielzahl von Störungen kommen. Oftmals zeigen sich auch Dinge, die wir zunächst gar nicht der Körperwahrnehmung zuordnen würden.

Hier nennen wir einige Symptombeispiele:

Wenn der Lagesinn Probleme macht…

  • häufiges Abstützen des Kopfes
  • schlaffe Körperhaltung
  • motorische Unruhe
  • Probleme beim Einschätzen von Gefahren
  • schlechte Sitzposition
  • fehlende Konzentration
  • suchen nach starken Impulsen (auf den Boden schmeißen, stampfen)
  • großes Kommunikationsbedürfnis
  • fehlende Sicherheit, fehlendes Selbstvertrauen, Angst vor Neuem, Suche nach Struktur

Anregung zur Förderung des Lagesinns im Alltag/ Unterricht:

  • Sandsäckchen auf einen Körperteil legen (dies geht gut in Bauchlage oder auch im Sitzen)
  • Begrenzungen geben und nutzen (in eine Decke einwickeln, Stuhl mit Arm- und Rückenlehne, eine Wand im Rücken haben)
  • klare Reize geben- klare Berührungsreize und Begrenzungen können den Aufbau von Selbstvertrauen und Selbstsicherheit enorm unterstützen
  • einfach mal Loshüpfen (macht nicht nur Spaß, sondern gibt den Gelenken einen starken Impuls)

Blick auf… mich und meinen Lagesinn

  • Bin ich stabil?
  • Fühle ich mich sicher?
  • Eine kleine Übung zur Selbstwahrnehmung: MEIN KÖRPER WEISS, WAS ER TUT! und ICH WEISS, WAS ICH TUE! Setze dich auf einen Stuhl, stelle deine Füße auf den Boden und schließe deine Augen. Nun hebe einen Arm und lege eine Hand auf deinen Kopf. Hebe ein Bein hoch und kreuze es über das Andere. Woher weiß deine Hand, wo dein Kopf ist? Wie findet das eine Bein das Andere, ohne hinzuschauen? Kannst du bei all dem noch stabil sitzen bleiben?

Wenn der Kraftsinn Probleme macht…

  • kraftloser Handstütz beim Krabbeln
  • Einsatz von zu viel oder zu wenig Kraft
  • schlaffe Körperhaltung, angespannte Körperhaltung
  • beim Gehen die Füße über den Boden schleifen oder Stampfen beim Gehen
  • fehlende Konzentration
  • provokatives Verhalten

Anregungen zur Förderung des Kraftsinns im Alltag/ Unterricht:

  • verschieden schwere Gegenstände schieben oder Tragen (z.B. eine Wasserkiste oder die Einkaufstasche tragen, große Turnmatte beim Aufräumen schieben)
  • verschieden schwere Gegenstände von einem Tisch hochheben (schult die Kraftdosierung und kann z.B. als Ratespiel durchgeführt werden)
  • Hilfe bei der Gartenarbeit (Kehren und Schubkarre schieben)
  • dosiertes Abklatschen üben (High five)

Blick auf…mich und meinen Kraftsinn

  • Mache ich regelmäßig Pausen?
  • Bin ich angespannt oder verkrampft? Bei welchen Tätigkeiten bin ich angespannt/verkrampft?
  • Wann fühle ich mich besonders gestresst? Zeigt sich das körperlich?
  • Eine kleine Übung zur Selbstwahrnehmung: 1. Nimm eine Wasserkiste und hebe diese hoch. Wie machst du das und wie viel Kraft ist notwendig und wo kommt diese her? 2. Nimm die Kiste abermals hoch, diesmal gehst du aber bewusst in die Knie und hebst sie dann aus den Beinen heraus an. Konntest du einen Unterschied im Krafteinsatz spüren?

Wenn der Bewegungssinn Probleme macht…

  • allgemeine Koordinationsprobleme
  • fehlender Begriff von oben-unten, rechts-links
  • Schwierigkeiten beim Schreiben (Stifthaltung und Schriftrichtung)
  • Schwierigkeiten beim Basteln
  • fehlende Bewegungsmotivation
  • allgemeine Unsicherheiten
  • starre, unflexibel Bewegungen

Anregungen zur Förderung des Bewegungssinns im Alltag/ Unterricht:

  • Bewegen zu einer Musik, eine kleine Choreographie einüben
  • Stampf- und Klatschspiele
  • zielgerichtete Bewegung, z.B. Hüpfen von Teppichfliese zu Teppichfliese
  • einen Waldspaziergang machen und vom Weg abkommen, einen anderen Weg einschlagen
  • Bewegungsabfolgen erlernen, wiederholen und variieren
  • Bewegungsumfang spüren (Strecken, Beugen…)

Blick auf… mich und meinen Bewegungssinn

  • Variiere ich Bewegungen oder bleibe ich lieber in meinem Bewegungskonzept?
  • Probiere ich neue Sportarten aus?
  • Eine kleine Übung zur Selbstwahrnehmung: Falte deine Hände auf die gewohnte Art- schau einmal hin: Welcher Daumen ist vorne? Strecke die gefalteten Hände nun über den Kopf- die Handflächen zeigen Richtung Decke. Dann falte deine Hände auf die ungewohnte Art, dass heißt der Daumen, der jetzt vorne ist wandert an die zweite Position und der Daumen der anderen Hand ist vorne. Halte kurz inne und spüre nach. Nun wiederhole die Übung und strecke deine Hände Richtung Decke. Wiederhole diese Übung noch einmal mit gefalteten Händen auf die gewohnte Art. Konntest du einen Unterschied in der Bewegung spüren. (Diese Übung zeigt ganz schön, wie sehr wir doch bestimmte Bewegungen gewohnt sind und wie komisch es sich anfühlt eine Tätigkeit auf eine ungewohnte Art und Weise auszuführen. Für das Anregen des Bewegungssinnes ist es manchmal gut zu irritieren/ etwas ungewohnt zu tun.)

Es bleibt noch zu erwähnen, dass die Propriozeption ein sensibles System ist. Es braucht eine achtsame Beobachtung, um ein gutes Maß an Reizen zu setzen. Bei einem überempfindsamen System ist ein kurzer Körperkontakt, eine kurzzeitige Berührung schon ausreichend. Bei unterinformierter Propriozeption ist es von Nöten einen kräftigen Reiz zu geben.

Als letzten Impuls zu diesem Thema möchten wir euch einen kurzen Rückblick auf die Entstehung des Artikels geben, da er aus unserer Sicht gut zum propriozeptiven System passt. Die Arbeit hieran war sehr intensiv, wir waren manchmal echt „geschlaucht“ und das Nehmen technischer Hürden und Schwierigkeiten fühlte sich sogar nach großer, körperlicher Anstrengung an. Genau diese Geduld benötigen wir auch bei „der Arbeit“ im Bereich des propriozeptiven Systems. Veränderungen sind oft nicht eindeutig sichtbar und entwickeln sich über einen längeren Zeitraum. Es reicht nicht aus, einen Impuls einmal zu setzen und es lohnt sich immer wieder dran zu bleiben.

Und so bleiben auch wir als Team BlickKontakt dran! Unser nächster Beitrag wird zwar wieder Geduld und Zeit erfordern – geplant ist das Erscheinen vor den Osterferien -, aber er kommt;-). Das Thema wird „Unsere Haut“ sein.

Euer Team BlickKontakt

Veröffentlicht in Allgemein, Selbstreflexion

Ein kurzer BlickKontakt

Liebe LeserInnen,

Der Sommer geht zu Ende, der Herbst, der ist jetzt da.

Das Schuljahr voll im Gange, so anders als es vorher war.

Es gibt viele neue Regeln; wir lernen grad ganz viel.

Gemeinsam und mit Abstand- den Unterricht als Ziel.

Wir reden nun mit Maske, das liebste Accessoire,

desinfizieren das Gebäude, das noch nie soooo sauber war.

Im Schulalltag zu landen, das brauchte etwas Zeit,

doch sind wir in Gedanken zum BlickKontakt bereit.

Demnächst da geht es weiter mit Texten und noch mehr,

den Blog hier weiterführen, das wollen wir doch sehr!

Wir grüßen euch ihr Leser…Innen, zunächst mal im Gedicht.

Bleibt stets gesund und munter, kriegt nur Corona nicht!

Seid interessiert und achtsam; entdeckt, was euch gefällt!

’ne andere Perspektive verändert uns’re Welt.

Blick auf… mich

  • Wann und wie achte ich auf mich?
  • Was interessiert mich besonders? Was gefällt mir?
  • Wie stark beeinflussen die Corona-Gedanken meinen Alltag?
  • Wie gut kann ich auch mal die Perspektive wechseln?
  • Wobei habe ich Freude und Spaß?
Veröffentlicht in Allgemein, Grundlagen

Kurztrip durch unser Gehirn

Liebe LeserInnen,

nach den Beträgen zum Thema „Teamwork“ gibt es heute wieder etwas Körperliches. Wir laden wir euch zu einem Kurztrip durch unser Gehirn und dessen Verarbeitungsmechanismen ein.

Seid gespannt auf das „Wunderwerk Gehirn

Wir starten unsere kleine Reise im Hirnstamm oder Stammhirn, einem der ältesten Hirnareale, welches für die Überlebensfunktionen (Atmung, Blutdruck, sämtliche Schutzfunktionen) und die Reflexe verantwortlich ist. Der Hirnstamm hält uns reflektorisch in der Aufrichtung und ist eng verknüpft mit dem Rückenmark.

Wandern wir ein wenig nach hinten, dann finden wir das Kleinhirn- Cerebellum. Das Kleinhirn arbeitet größtenteils unbewusst, es steuert das Raum-Lage-Empfinden und die Tiefensensibilität. Es harmonisiert Bewegungen durch einen angepassten Muskeltonus und hält uns im Gleichgewicht. Das Kleinhirn ist an koordinierter Aktivität beteiligt, es gibt uns Rhythmus und Orientierung.

Für unsere nächste Station klettern wir ein wenig nach oben zum Mittel- und Zwischenhirn. Diese Hirnareale nehmen jede Menge Reize der Sinnesorgane auf. Sie verarbeiten visuelle Reize und steuern in großem Maße die Augenmuskulatur. Ebenso nehmen sie Gehörtes auf und regulieren unsere Aufmerksamkeit. In diesen Anteilen gibt es auch unterschiedliche Gefühlsebenen, die Emotionen, z. B. durch den Geruchssinn entstehen lassen.

Im Zwischenhirn kommen Nervenimpulse aus der Peripherie gebündelt an. (Das sind alle Informationen aus den Muskeln und Gelenken über die Motorik, und viele Sinnenreize.) Von hier aus werden diese Impulse dann zum Großhirn hin aufgefächert. Wir schauen also nun in ein viel befahrenes Straßenlabyrinth.

Oben angekommen erleben wir die Bewusstheit von Bewegung, Spüren und Denken im Großhirn- Cerebrum. Dieser Anteil macht uns zu handlungsfreien und kommunikativen Menschen. Durch die unermüdliche Arbeit des Großhirns können wir kompetent auf unsere Umwelt reagieren. Hier laufen alle Fäden zusammen: Gehörtes wird verarbeitet und mit Sinn gefüllt. Sprache wird verständlich, Kommunikation wird möglich. Die sensorischen Reize werden nach ihrer Wichtigkeit sortiert und die Motorik wird bewusst gesteuert. Die Feinmotorik differenziert sich hier und das Wollen und die Motivation darf entstehen. Wenn wir uns hier umschauen, dann sehen wir zwei Anteile mit klarer Aufgabenteilung. Der rechte Anteil ist für Gefühle, Intuition und Kreativität verantwortlich und im linken Anteil sitzt die Logik, die Abstraktion und die Objektivität. Der komplexen Aufgaben unseres Großhirns nicht genug, kreuzen die absteigenden Nervenbahnen sich auch noch, das heißt: Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperseite und umgekehrt. Natürlich müssen die beiden Anteile miteinander kommunizieren und das tun sie über Nervenverbindungen, den Balken. Nur durch dieses Leitungssystem wird koordinierte Bewegung möglich, da ansonsten die rechte Hand nicht wüsste, was die Linke tut.

Oben angekommen – wer ganz oben angekommen ist, der muss auch wieder runter – es geht also zum Rückenmark ins Tal, unsere letzte Station. Das Rückenmark ist die Daten-Autobahn unseres Körpers. Es transportiert zunächst Reize aus der Peripherie nach oben (afferentes, sensorisches Leitsystem) zum Gehirn. Die schon so viel genannten Rezeptoren in der Haut, in der Muskulatur und in den Gelenken nehmen ständig Informationen auf (über Temperatur, Bewegung, Stellung..), die dann zunächst zum Stammhirn geleitet und dort weiterverarbeitet werden (siehe Stammhirn). Die Antwort wird danach mit dem absteigenden (efferenten, z.B. motorischen) Leitsystem nach unten in den richtigen Körperbereich zurück gesendet.

Ganz schön viel los in unserem Gehirn und da muss richtig viel glatt laufen und vor allem auch miteinander funktionieren, damit wir ein eigenverantwortlicher Mensch sein und werden können.

Blick auf… einige Störungen

  • Störung in der Entwicklung des Stammhirns: Aphallisches Syndrom (Wachkoma)
  • Störung in der Entwicklung des Kleinhirn: Ataxie, Adiadochokinese, Dyspraxie
  • Störung in der Entwicklung des Großhirns: alle Paresen (Tetra-, Hemiparese), Hydrocephalus, Mikrocephalus, Epilepsie
  • Störungen in der Entwicklung des Rückenmarks: Spina bifida, Muskeldystrophie, Leukodystrophie
  • Störungen im Aufnahme-, Weiterleitungs- oder Verarbeitungssystem des Gehirns: allgemeine Koordinationsstörungen

Blick auf… mich

  • Wie viele unterschiedlich Reize kann ich verarbeiten?
  • Merke ich, wenn ich überreizt bin? Wie reagiere ich dann? Gibt es auch eine körperliche Reaktion?
  • Wann und wie gönne ich meinem Gehirn eine Pause?

Apropos PAUSE- mit diesem Beitrag verabschieden wir uns zunächst in unsere „Sommerpause“. Wir wünschen euch, liebe LeserInnen eine erholsame, gesunde Zeit und freuen uns auf ein „Wiederlesen“;-).

Euer Team BlickKontakt

Veröffentlicht in Entwicklung, Selbstreflexion

Feedbackkultur in der Teamarbeit – Chancen für uns selbst als Lernende

Liebe LeserInnen,

wir alle kommen ebenso wie unsere Schüler als Lernende zusammen. Wir alle entwickeln uns und in der Regel sind wir auch alle daran interessiert, das zu tun. Um sich und seine Kompetenzen (nicht nur im beruflichen Kontext) entwickeln zu können, ist ein Abgleich von Selbst- und Fremdbild wichtig.

Blick auf… ein Gedankenexperiment

Wer kennt es nicht, das Spiel „Topfschlagen“? Stellt euch bitte mal vor, ihr seid derjenige, der den Topf mit dem heißbegehrten Schokoriegel darunter suchen soll. Ihr bekommt die Augen verbunden, einen Schläger in die Hand, werdet ordentlich gedreht und fühlt noch, wie eine Hand auf eurer Schulter euch sanft zu Boden drückt. Es geht auf alle Viere. Tastend und klopfend wollt ihr nun den Topf finden.

Jetzt begleitet uns noch ein Stück weiter bei diesem Gedankenexperiment, bevor es den Schokoriegel gibt;-). Ihr seid auf allen Vieren und jetzt gibt es verschiedene Varianten:

Ihr kommt unten an und tastet euch vorsichtig vor.

Variante 1: Die Umherstehenden rufen laut „Buh!“ Ihr dreht euch langsam in eine andere Richtung. Das „Buh!“ bleibt. Ist es vielleicht ein bisschen leiser? Ihr dreht euch um eure Achse und tastet euch wieder langsam vor. Irgendwann ebbt das „Buh!“ ab. In diese Richtung krabbelt ihr langsam weiter, der Kochlöffel trifft endlich auf den Topf. Das Klopfen ist das einzige Geräusch, sonst ist es still. Ihr habt gemerkt: es gibt immer ein „Buh!“, wenn ihr in die falsche Richtung unterwegs seid.

Variante 2: Die Umherstehenden sind still. Ihr tastet euch umher, mal in die eine Richtung ein Stück, mal in die andere. Ihr dreht euch. Irgendwann gibt es leisen Applaus. Ihr bleibt dabei, euch in die Richtung weiter zu bewegen, der Applaus wird lauter. Der Kochlöffel trifft den Topf. Ihr habt gemerkt: es gibt immer Applaus, wenn ihr in die richtige Richtung unterwegs seid, es gibt aber bei 360 Grad nur 1 Grad „richtige Richtung“…

Variante 3: Ihr tastet euch ganz vorsichtig vor, als ihr auf allen Vieren gelandet seid. Die Umstehenden rufen laut „Buh!“ Ihr dreht euch langsam, das „Buh!“ wird leiser. Als ihr euch weiter dreht und tastet, hört ihr leise Applaus. Der Applaus wird mit jedem Schritt in die Richtung lauter. Der Kochlöffel trifft auf den Topf. Ihr habt gemerkt: es gab ein „Buh!“, wenn ihr falsch ward und Applaus, wenn ihr richtig ward.

Bei welcher Variante fühlt ihr euch am wohlsten? Welche Variante gibt euch die meiste Sicherheit? Wie findet ihr wohl am leichtesten euer Ziel?

Blick auf… das „Warum“ von Feedback

Wie wichtig Feedback für uns sein kann, wird aus diesem Gedankenexperiment gut ersichtlich. Es ist leicht nachvollziehbar, dass hier sowohl das Feedback zum richtigen als auch zum falschen Weg dem Suchenden nicht nur die meiste Sicherheit sondern vermutlich auch das größte Erfolgserlebnis beschert hat. Und das nicht nur, weil er die Schokolade schnell gefunden hat, sondern auch weil er sozial ständig verbunden mit den Umherstehenden war durch deren Rückmeldung. Das erzeugt ein Gefühl von Getragensein, Motivation und bringt einen schnellen Lerneffekt.

Blick auf… das „Wie“ von Feedback

Es gibt zwei unterschiedliche Wege, Feedback zu geben: den formalen Weg und den informellen Weg.

Der formale Weg: Das Team vereinbart einen Termin für ein Feedback-Gespräch. Das kann einmal pro Quartal, pro Halbjahr oder pro Jahr sein. Jeder Teilnehmer weiß vorher, dass er in dem Gespräch Feedback bekommen und geben wird.

Für die Feedback-Runden gelten folgende Regeln für den Feedback-Geber:

  • Bleib subjektiv – ihr kennt ja den Zauber von „Ich-Botschaften“.
  • Beschreibe sichtbares Verhalten und interpretiere nicht.
  • Beziehe dich auf konkrete Situationen und Verhaltensweisen.
  • Konzentriere dich auf Verhalten, das der Feedback-Nehmer auch ändern kann.
  • Bleib authentisch.
  • Feedback-Sandwich: sag etwas Positives, übe dann konstruktive Kritik aus, sag wieder etwas Positives

Für den Feedback-Nehmer gelten dabei diese Regeln:

  • Höre in Ruhe zu.
  • Kläre durch Rückfragen, wenn dir etwas unklar ist.
  • Verzichte auf Rechtfertigungen und Entschuldigungen.
  • Du hast die Freiheit, Anregungen anzunehmen oder abzulehnen.

Auch wenn alle Beteiligten insgesamt ein gutes Arbeitsklima haben und keine „Angst“ vor einer offiziellen Feedbackrunde, ist dennoch davon auszugehen, dass die meisten Menschen eine gewisse Anspannung angesichts einer formalen Feedback-Runde fühlen. Das ist weniger förderlich. Wird Feedback nicht als angenehm erlebt, kann es nicht sein ganzes Potential als Lernchance entfalten.

Der informelle Weg: In der aktuellen Literatur wird zunehmend empfohlen, Feedback vorzugsweise informell zu geben.

Feedback sollte demnach

  • hochfrequent, also so oft wie möglich,
  • unmittelbar, also so direkt wie möglich und
  • niederschwellig, also auch für „Selbstverständlichkeiten“ und banal Erscheinendes, gegeben werden.

Es hat sich gezeigt, dass Rückmeldung im Team auf diese Art und Weise dazu beiträgt, dass jeder genau weiß, woran er bei seinen Teammitgliedern ist. Jeder bekommt Rückmeldung für Verhalten, das die anderen schätzen (durch Komplimente, Dank ausdrücken, Gesten), aber jeder bekommt auch schnelle Rückmeldung in Form von konstruktiver Kritik (Fragen stellen, alternative Lösungswege aufzeigen, eigene Wünsche ausdrücken). Auch die kann und sollte wertschätzend vorgebracht werden. Die Feedback-Regeln aus dem formalen Setting können hierfür eine gute Kommunikationshilfe bieten. Das Thema Feedback sollte im Bewusstsein des Teams verankert sein. Hier zählt auch die „Vorbild-Wirkung“. Wenn also einer damit anfängt – vorzugsweise die Teamleitung -, kann es gut sein, dass Teamkollegen nachziehen. Natürlich muss das nicht „geheim“ passieren, sondern im Idealfall wird ganz offen kommuniziert, dass diese Form des Feedback-Gebens eine Teamangelegenheit ist. Das verändert und bestimmt das Arbeitsklima enorm. Die Chance auf persönliche und berufliche Entwicklung ist viel höher.

Es ist wichtig, dass offen Feedback in Form von positivem Feedback gegeben wird, aber auch kritische Punkte angesprochen werden. Dabei sollte nicht der Grundsatz gelten: „Nichts gesagt, ist genug gelobt!“ In der psychologischen Forschung hat sich gezeigt, dass positive Beziehungen aktiv gestaltet werden können, indem positive zu negativen Anmerkungen in einem Verhältnis von 3:1 stehen. Das bedeutet, auf drei Komplimente, anerkennende Äußerungen, das Ausdrücken von Dank, kann eine Kritik kommen. Natürlich führen wir im Alltag keine Strichlisten dazu, aber vielleicht entwickelt man über die Zeit ein Gefühl für die Relation von positivem und negativem Feedback. Die Forschungen haben allerdings gezeigt, dass Beziehungen nicht positiver beeinflusst werden, wenn wir das Verhältnis auf 5:1 erhöhen.

Es wird auch empfohlen, sich regelmäßig aktiv Feedback einzuholen von seinen Teammitgliedern und mit ganz konkreten Fragestellungen um Rückmeldung zu bitten. Auch das kann kultiviert werden, so dass niemand eine Frage oder Zweifel an eigenem Handeln lange mit sich herumschleppen muss, sondern immer eine Lernchance daraus macht.

Es wird deutlich, dass wir selbst etwas zu positiven Beziehungen beitragen können, indem wir unseren Fokus auf die Stärken und positiven Seiten unseres Gegenübers ausrichten. Das macht als allererstes etwas in unserem eigenen Denken und in der Wahrnehmung des Gegenübers. Es ist einfach etwas anderes, ob ich bei meinem Gegenüber ständig sofort die Schwächen sehe oder mich einmal ganz bewusst auf seine Stärken konzentriere – das kann richtig Spaß machen! Es macht sich dann in der Beziehung bemerkbar und letztendlich im Team.

Blick auf… eine alternative Methode: das FeedForward-Gespräch

Beim FeedForward handelt es sich um eine von Marshall Goldsmith entwickelte Methode, die als konstruktive Alternative zu einem formellen Feedback-Gespräch vorgeschlagen wird. Dabei soll der Blick nicht nach hinten gewandt werden, sondern nach vorne und die Lernchance aus Vergangenem wird noch detaillierter herausgearbeitet.

Wir haben die Methode für euch getestet:

Mit verteilten Rollen haben wir uns in FeedForward-Gespräche begeben. Es gab immer einen Fragesteller, einen Befragten bzw. FeedForward-Nehmer und einen Beobachter. In vier Schritten geht es dann durch das Gespräch:

  1. Wann hat dir deine Arbeit besonders viel Freude bereitet? Wann warst du besonders zufrieden und energetisiert?
  2. Erzähl uns die Geschichte von dem Moment, in dem du dich besonders gut gefühlt hast. Wie hast du dich gefühlt? Was hast du gedacht? Wenn dich jemand gesehen hätte, was hätte er wahrgenommen? (Hier geht es um das WiederERLEBEN des Moments und der Fragensteller sollte den Befragten durch konkrete Fragen nach Gefühlen und Sinneseindrücken in die Geschichte hineinführen!)
  3. Was waren die Rahmenbedingungen, die diesen Moment ermöglicht haben? Bei dir, in der Einrichtung, am Ort, im Timing?
  4. Gibt es etwas, das du künftig angehen kannst, das diesen Bedingungen entspricht und dir ermöglichen kann, ähnliche Momente zu erleben und deine beste Seite zu zeigen?

Diese konstruktive Methode haben wir wie folgt erlebt:

  • die Gespräche dauern ca. 30 Minuten, also ein überschaubarer Zeitrahmen,
  • die Ausrichtung auf positive Momente in der Arbeit haben wir als sehr angenehm erlebt,
  • man entwickelt selbst Ideen, Vorstellungen und Lösungen, was ein gutes Gefühl von Selbstwirksamkeit gibt,
  • in der Reflexion wird bewusst, dass wir auf Kleinigkeiten selbst Einfluss nehmen können, die dann aber schon eine große Veränderung bedeuten können,
  • wir hatten das Gefühl, nach dem Gespräch positiv gestimmt zu sein und wirklich etwas mitzunehmen.

Blick auf… Chancen von FeedForward

Wir können uns vorstellen, dass neben einer Feedbackkultur wie oben beschrieben (unmittelbar, hochfrequent und niederschwellig) FeedForward-Gespräche in regelmäßigen Abständen und auf freiwilliger Basis dazu führen können, dass wir selbst uns noch mehr über unsere Stärken klar werden und uns darauf in der Arbeit ausrichten. FeedForward-Gespräche sind in der 1:1-Situation ebenso denkbar wie im ganzen Team. Für die Einzelsituation ist jede Person als Fragesteller denkbar, die eine Einführung in die Methode bekommen hat und sie selbst einmal erprobt hat. Es muss niemand aus dem eigenen Team sein. Im Team ist ein solches Gespräch auch interessant, weil so jeder mitbekommt, wo „mein“ guter Moment lag und wieder liegen könnte. Das kann dazu führen, sich gegenseitig darin zu unterstützen, diesen Stärken-Moment im Alltag immer öfter zu etablieren.

Blick auf… dich

  • Gibst du deinen KollegInnen schnell Rückmeldung, wenn dir etwas gut gefällt in der Zusammenarbeit?
  • Sprichst du unmittelbar an, wenn etwas nicht gut gelaufen ist oder du Fragen hast?
  • Wie oft bedankst du dich bei deinen KollegInnen für gelungene Zusammenarbeit?
  • In welchen Situationen fühlst du dich besonders wohl auf der Arbeit? Was sind die Rahmenbedingungen? Wie und wo kannst du selbst dafür sorgen, dass du mehr davon bekommst?
  • Weißt du, wann sich deine KollegInnen wohl fühlen?

Insgesamt ist vorstellbar, dass wir durch eine gelebte Feedbackkultur dahin kommen, Fehler oder Probleme als Chancen zu sehen und sie dankbar annehmen können. FeedForward-Gespräche können uns näher mit unseren eigenen Stärken und Entwicklungsfeldern auf eine konstruktive Art und Weise in Kontakt bringen.

Ach so, vergesst jetzt bitte nicht, in Gedanken den Schokoriegel vom Topfschlagen auch noch auszupacken und zu genießen;-).

Euer Team BlickKontakt