Veröffentlicht in Grundlagen, Selbstreflexion, Wahrnehmung

Zusammenspiel der Sinne

Liebe LeserInnen,

„ich finde etwas sinnvoll“, „bei Sinnen sein“, „alle Sinne zusammen haben“, „von Sinnen sein“, „wer nicht hören will, muss fühlen“. Auch hier übertragen wir oft die Sinneswahrnehmung in eine andere Bedeutung hinein. Wie funktioniert das mit der Zusammenarbeit der Sinne eigentlich?

Blick auf… das Zusammenspiel als Schutzfunktion

In den vorherigen Beiträgen wurde schon deutlich, dass die Sinne eine Schutzfunktion haben. Sie schützen uns vor Gefahren, die unser Leben beeinträchtigen oder sogar bedrohen könnten. So bleibe ich zunächst einmal stehen, wenn ich ein Auto auf mich zukommen sehe; ich halte inne, wenn ein lauter Knall ertönt; ich spucke etwas aus, was für mich seltsam schmeckt; ich vermeide eine Bewegung, die schmerzhaft ist… Hier könnte man in die Evolutionsgeschichte sicherlich noch tiefer eintauchen.

Blick auf… ein konkretes Beispiel

Wir nehmen ein Nahrungsmittel in die Hand- z.B. ein Stück Orange. Die Augen nehmen die Farbe orange wahr und die Form des Stückes, sie entscheiden jetzt als erstes, ob die Orange gut schmeckt oder nicht. Der Sehsinn ist die wichtigste Instanz bei der Entscheidung, ob wir etwas essen möchten oder eben nicht. (Sind Lebensmittel gefärbt haben wir eine Abneigung dagegen und müssen uns meist zum Probieren überwinden). Der Geruch informiert uns darüber, ob die Orange unbedenklich gegessen werden kann. Der Tastsinn nimmt den Fruchtsaft und die Temperatur auf und bereitet den Mund schon einmal vor. Die Zungenspitze schmeckt die Süße und im hinteren Bereich werden beim Kauen die Moleküle der Orange mit dem Geruch verbunden. Diese Informationen werden im Gehirn verarbeitet und bilden eine Vorliebe – oder eine Abneigung. Sind mehrere Geschmacksrichtungen zu unterscheiden, dann bildet sich bei der Verarbeitung aller Informationen aus den Sinneszellen das Geschmackserlebnis aus- den Flavour.

Blick auf… unsere „Sinnesfabrik“

Den Sinnen kommt allerdings auch noch eine andere wichtige Aufgabe zu. Wir sind denkende Wesen und nutzen die Sinne als Werkzeuge um uns die Welt zu erschließen. Wenn ich einen Tisch gesehen habe und in meinem Gehirn abgespeichert wurde, dass dieser Gegenstand als Tisch bezeichnet wird, dann kann ich mir diesen auch ins Gedächtnis rufen, wenn ich nur ein Tischbein oder die Tischplatte erfühle. Vielleicht assoziiere ich sogar einen Tisch, wenn jemand mit der Hand auf denselben schlägt. Zumindest werde ich unterscheiden können, ob mein Gegenüber in seine Hände oder auf den Tisch schlägt, wenn ich dies nur höre. Die Sinne sind somit Werkzeuge, die Reize von außen aufnehmen und unser Gehirn hat die Aufgabe diese Reize abzuspeichern und ständig zu sortieren nach Bekanntem, nach Unbekannten, nach Bedrohlichem, nach Angenehmen…Unser Gehirn bewertet also ununterbrochen die Reize die dort ankommen.

Stellen wir uns nun einmal vor, unsere Sinneswahrnehmung wäre eine Fabrik: Es gibt verschiedenen Abteilungen, die für bestimmte Arbeitsbereiche zuständig sind (Augen, Nase, Mund, Ohren, Haut). Diese Abteilungen nehmen Arbeitsaufträge entgegen und verpacken diese in transportable Pakete. Alle Pakete werden zunächst zum Controller geleitet. Diese übergeordnete Stelle im Gehirn überprüft jedes Paket auf seinen Inhalt. Unbrauchbares landet im Müll, Wichtiges wird im Lager (dem Gedächtnis) abgelegt und zwar im besten Fall in einem Regal, welches gut und deutlich beschriftet wurde, damit der Paketinhalt bei Anfrage schnellstmöglich wieder gefunden werden kann. So weit- so praktikabel! Nun gibt es auf dieser Erde jede Menge Fabriken, die das gleiche Produkt herstellen und bearbeiten. Trotzdem unterscheiden sich die Arbeitsart und die Lieferketten, kurz der Arbeitsprozess enorm. Jede Fabrik ist individuell organisiert, hat eigene Betriebsstrukturen. Jeder Mitarbeiter arbeitet auf seine eigene Art und Weise- es gibt fleißige, engagierte Arbeiter, müde, faule und überforderte Mitarbeiter, es gibt Starke und eher Schwächere und sogar eingeschränkte Arbeiter. Auch die Controller beurteilen Pakete in den Fabriken ganz verschieden. Was der eine als Unwichtig vernichtet wird in einer anderen Fabrik bei einem anderen Controller im Lager untergebracht. Die Lager sind in der einen Fabrik gut sortiert, in einer anderen wirken sie eher unsortiert. Auf unsere Wahrnehmung übertragen: Jeder Mensch hat seine eigene Sinnesfabrik mit unterschiedlichen Mitarbeitern, einem Controller und einem individuellem Lager. Jeder von uns hat also SEINE EIGENE GANZ INDIVIDUELLE WAHRNEHMUNG und somit auch seine EIGENE ERLEBNISWELT. Es werden also beim gleichen Sinnesreiz unterschiedliche Prozesse in Gang gesetzt und verschiedene Regale im Gehirn bedient. Daraus ergeben sich nun mehrere Fragen.

Blick auf… die Fragen

Was bedeutet das für meinen Alltag?

„Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ (Goethe)

Zunächst einmal ist es gut sich die eigene Erlebniswelt immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, damit ich nicht nur von meinem Erleben und von meinen Beurteilungen des Wahrgenommenen ausgehe. Aus dieser „Misere“ heraus hilft uns der Austausch mit Menschen. Es ist äußerst interessant und sinnvoll sich immer wieder die Zeit zu nehmen über Erlebtes und über die Wahrnehmungsempfindungen zu sprechen. Immer mit dem Wissen, dass alles, was ich empfinde und dementsprechend auch beurteile aus meiner eigenen Lebens- und Erfahrungsgeschichte heraus entstanden ist. Die Bereitschaft in die Haut meines Gegenübers zu schlüpfen, macht letztendlich den Umgang mit anderen leichter – es entwickelt sich Empathie.

Was bedeutet das für meine Lernangebote im Schulalltag? Im Grunde ermöglicht uns dieses Wissen einen enormen Spielraum. Wir können alle Werkzeuge benutzen, einzeln oder auch in Kombination. Voraussetzung scheinen uns hier eine gute Beobachtungsgabe und ein Ziel zu sein.

die Beobachtung: Wir können die Sinne zur Ansprache bei Lernangeboten nutzen- es gibt meist ein Sinnesorgan für das ein Schüler besonders empfänglich ist. Wir können Schüler aber auch durch Sinnesreize überfordern. Zu viel Sinnesreiz macht oftmals keinen Sinn! (Wenn zum Beispiel ein Sinn nicht richtig integriert ist oder eingeschränkt arbeitet.) Daher ist hier eine gute Beobachtung das „A und O“. – das Ziel: Im Lernprozess sollte man sich der Sinnesansprache immer wieder bewusst sein. Es ist ein Unterschied, ob ich die Sinneswahrnehmung als solche ansprechen möchte oder ob es sich um einen Lerninhalt wie z.B. das Zählen lernen handelt. Bei der konkreten Ansprache des Hörsinnes achten wir natürlich darauf, dass das Hören möglichst nicht durch andere Reize abgelenkt wird. Beim Zählen lernen kann es sehr förderlich sein dies mit Klatschen zu verbinden. Auch die Arbeitsmotivation kann ich durch eine zusätzliche Ansprache eines Sinns erhöhen. Es kann z.B. durchaus motivierend wirken eine Arbeit, die ich nicht gerne erledige- wie zum Beispiel ein Zimmer anstreichen mit Musik zu unterstützen.

Blick auf… mögliche Funktionsstörungen

  • Störung in der Reizaufnahme ( z.B. Funktion der Ohren ist beeinträchtigt, Funktion der Hautrezeptoren ist beeinträchtigt, es fehlt das Spüren wenn man eine Wunde oder Verletzung hat)
  • Störung in der Reizweiterleitung und -verarbeitung (z.B. Hörvermögen ist vorhanden, Reize werden nicht ausreichend ans Gehirn weitergeleitet, Gefahreneinschätzung ist dann meist eingeschränkt)
  • Störung in der Abspeicherung (z.B. Abspeicherung vom Wort „Tisch“ wird nicht zum Gegenstand zugeordnet)

Blick auf… das bevorzugte Sinnessystem

Mit einem einfachen Fragebogen kannst du herausfinden, welches Sinnessystem du bevorzugst. Entscheide dich bei den folgenden Fragen für die Antwort, die dir spontan als die „richtige“ erscheint, denke nicht zu lange darüber nach. Notiere dir die zutreffenden Buchstaben und zähle, wovon du am meisten hast. V = visuell, A = auditiv, K = kinästhetisch.

1. Wenn ich etwas Neues lernen möchte, unterstützen mich…
… Schaubilder auf Flipchart oder Pinnwand.V
… gute Erklärungen und die Möglichkeiten, nachfragen zu können.A
… viele Beispiele und praktische Übungen.K
2. Ein Vortrag ist für mich interessant(guter Inhalt vorausgesetzt), wenn…
… der Redner sein Thema so beschreibt, dass ich mir ein klares Bild machen kann.V
… der Redner interessant spricht, mit seiner Stimme und Lautstärke spielt.A
… mich der Redner oder sein Thema emotionale berührt.K
3. Ich kaufe neue Kleidungsstücke und suche sie danach aus, …
… dass sie in Farbe und Schnitt gut aussehen.V
… dass eine innere Stimme mir sagt: Das ist es!A
… dass der Stoff sich gut anfühlt.K
4. Wenn ich mich an ein schönes Ereignis erinnere, fällt mir zuerst ein…
… was ich gesehen habe.V
… was ich gehört habe.A
… was ich damals gefühlt habe.K
5. Wenn ich Streit mit einer wichtigen Person habe, macht mir am meisten zu schaffen, wenn der andere…
… keine Einsicht hat oder wenn ich mir nicht vorstellen kann, was der andere meint oder wenn mir das, was er meint, nicht logisch erscheint.V
… unfreundlich/ laut ist oder nichts mehr sagt oder mir nicht zuhört.A
… mich emotional verletzt oder ich mich ungerecht behandelt fühle oder ich keinen Kontakt zum anderen finde.K
6. Wenn ich Menschen von einer Sache überzeugen will, …
… beschreibe ich das Thema in schillernden Farben/ aus meiner Sichtweise.V
… diskutiere ich.A
… bin ich begeistert und versuche, bei anderen ein Feuer zu entzünden.K
7. Wenn ich verliebt bin,…
… dürfen alle sehen, wie ich strahle.V
… möchte ich mein Glück am liebsten in die Welt hinausrufen.A
… könnte ich die ganze Welt umarmen und an meinem Glück teilhaben lassen.K
Auswertung
Anzahl angekreuzte V 
Anzahl angekreuzte A 
Anzahl angekreuzte K 
aus: „NLP-Practitioner-Lehrbuch. Potenziale entfalten mit Neurolinguistischem Programmieren“ von Petra Dannemeyer & Ralf Dannemeyer

Blick auf… mich

  • Überrascht mich mein Ergebnis oder war ich mir schon vorher sicher über meinen Lieblingssinn?
  • Berücksichtige ich mein bevorzugtes Sinnessystem in Beruf, Privatleben und Hobbies?
  • Aktiviere ich meine Sinne regelmäßig?
  • Funktionieren alle meine Sinne gleich gut?
  • Gebe ich jedem Sinn in meinem Alltag Raum?
  • Achte ich darauf, welches die bevorzugten Sinnessysteme der Menschen um mich herum sind?

Sich auf die Spur seiner und der Sinne anderer zu begeben, bedeutet sich auf die Spur des subjektiven Erlebens zu begeben.

Euer Team

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